Donnerstag, 16. Mai 2019
A
A hat mir eine Nachricht geschickt.

Krishna Das - Sri argala stotram (selected verses)
Sehr schönes Lied. Generell vom Sänger..


A immer mit seinen zwei Pünktchen am Ende. Ich suche das Lied im Internet und spiele es ab. Wenn A mal stirbt, muss ich plötzlich denken. Ich überlege mir, was ich sagen würde über A, wenn er mal stirbt.

Ich würde sagen, A war die Liebe meines Lebens.
Das würde vielleicht kurz blöd sein für seine Frau, vielleicht auch für seine Tochter, obwohl die jetzt noch sehr klein ist.

A war die Liebe meines Lebens, würde ich trotzdem sagen. Ich würde kurz überlegen, ob ich nicht zu jung war, um so etwas zu sagen, aber "die Liebe meines Lebens" ist diese romantisch-verklärte Vorstellung, die mit heiraten und Familie gründen in Verbindung steht und das war es ja, wofür A in meinem Leben stand. A war der Mann, neben dem ich mich altern sah.

Ich würde nicht sagen, dass A mein bester Freund war oder mein Seelenfreund, denn so ist es ja nicht. Das ist ja M.

Als ich unsere Liebesbeziehung damals beendete, als wir Schluss machten, dachten wir, jetzt ists vorbei mit der Liebe. Der Trennungsprozess zog sich hin. Wir hielten nämlich an der Liebe fest, der A noch mehr als ich, A wollte ja damals, als ich nach dem dritten Mal Sex ungewollt und laut Ärztin schwanger war - was sich noch am selben Abend als Irrtum herausstellte, aber das ist eine andere Geschichte - das Kind sehr gerne bekommen. A wusste ziemlich genau von Anfang an, dass ich auch die Liebe seines Lebens war.

Und während wir zusammen lebten, all die Jahre, war das ja auch gut. Die anderen heirateten und kriegten Kinder und bauten Einfamilienhäuser (A baute sogar auch eins) und ich merkte irgendwann, dass ich mein Leben nicht mit A verbringen konnte, nicht in dieser Form. Ich musste raus, ich musste wachsen und lernen und sehr viel mehr leben, als dieses eine Liebesleben.

Wir gestalteten die Trennung in Etappen. Erst zog ich aus unserer Wohnung aus, eine Straße weiter. Wir begegneten uns nur einmal zufällig auf der Straße danach, was kurios ist, in der Kleinstadt. Er und unsere gemeinsamen Freunde halfen beim Umzug, ich weiß noch wie sein Schulfreund im obersten Stock an der Treppe saß und Gitarre spielte, sodass es durch das ganze, lange Altbautreppenhaus hinunterklang.

A und ich gingen aber noch gemeinsam zum Tanzkurs. Das war komisch für die anderen. Getrennt oder nicht, ja was denn? Für uns war das gut. Kein Kontakt, aber Dienstagabend tanzen und danach gemeinsam nach Hause laufen, er brachte mich zur Tür, dann ging er eine Straße weiter.
-Das ist aber nicht gesund, sagte man, und: die brauchen doch mal Abstand.
Ja. Später zog ich in einen anderen Stadtteil, noch später aus der Stadt. Wir machten halt alles etwas langsamer. A blieb in der Wohnung bis er ein paar Jahre später mit seiner neuen Freundin zusammenzog, sie ein Kind bekamen und heirateten.

Als er mir davon erzählte, wir saßen in der Bahnhofskneipe bei Bier und Kerzenschein unserer alten Stadt, heulte ich Rotz und Wasser, die ganze Nacht hindurch, und A heulte mit, und reichte mir sein angerotztes Taschentuch. Es war ein neuer Schritt des Loslassens, ich glaube, wir weinten sowieso bei jedem Schritt. Und jeder Schritt war gut. Wir ließen die Liebe als Liebespartner los. Die Liebe als Menschen behielten wir.

Als ich Jahre später nach Neuseeland zog - und weiter weg ging dann ja wirklich nicht mehr - telefonierten wir einmal wöchentlich, immer mittwochs, wenn ich von meiner Meditationsfreundin nach Hause lief, eine Stunde. Er erzählte viel vom Kind, vom Vatersein, vom Zweitstudium, das er aufgenommen hatte, vom Leben in der Großstadt. Ich erzählte vom Englischlernen, meinen Abenteuern. Über unsere neuen Liebespartner redeten wir kaum. Ich wusste aber, dass er sie liebte, sie und seine Tochter, und er wusste, dass ich mich nicht für C, der ihm so ähnlich war, sondern für KM entschieden hatte.

Für unsere neuen Partner war das manchmal schwierig, glaube ich, die Verbindung die wir hatten. Es gab aber keinen Grund zur Eifersucht. Wir wollten uns als Liebespartner nicht zurück. Ich liebe A, als Mensch, und nachdem ich verstanden hatte, dass ich diese Liebe nicht aufgeben muss, nur weil mir kein Paar mehr sind, fühlte ich mich sehr befreit.

Vielleicht werden wir sogar nochmal ein Paar in zehn, fünfzehn, fünfundzwanzig Jahren. Das kann ich mir gut vorstellen, dass unsere Wege in dieser Form noch einmal zueinander führen. Vielleicht aber auch nicht. Ich werde nicht in seine Ehe reingrätschen, er wird das bei mir auch nicht tun. Und seit vielen Jahren ist es gut so wie es ist.

Als ich mich in M verliebte, erzählte er mir von seiner Exfreundin R. Er sagte: Du musst wissen, da gibt es die R in meinem Leben. Wir waren lange ein Paar, ich liebe die R, die R liebt mich, wir haben Kontakt, hier ist der Karton mit den gesammelten Briefen, die R kommt manchmal zu Besuch, und die R gehört für immer zur Familie.
Ich dachte zuerst, hm ja, das ist bisschen schräg und dann dachte ich, ok, er liebt die R, die R liebt ihn, und die R gehört zur Familie.
Als die R und ich uns trafen, waren wir uns nicht sehr sympathisch, aber so what, die R gehört halt zur Familie, kannste nix machen.

Der A gehört zur Familie erkläre ich seitdem den anderen Menschen. Es ist auch egal, ob wir mal eine Weile keinen Kontakt haben, oder wir uns zerstreiten oder was auch immer. Er ist da und bleibt es auch. Und das finde ich sehr, sehr schön.

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It will all work out.
It will all work out, sagte meine Meditationsfreundin gestern vorm Schlafen. Es ging um die Ankunft meiner Schwester, um meine Rückkehr nach Deutschland und alles. Sie sagt das oft: It'll all work out. It'll all be fine, und dann nickt sie ihr indisches Nicken.
-Did you learn to have this trust or is it just part of your personality?, fragte ich.
-Oh no, I used to worry a lot. I used to worry all the time. It's been just there for the last 5 years I'd say. If something unexpected had happened, I worried. If I thought something 𝘤𝘰𝘶𝘭𝘥 happen, I worried. But not anymore.

Sie hatte letzte Woche einen Konflikt mit der HR Frau in der Firma. Es ging wohl etwas rauer zu. "Let's agree to disagree" war die Haltung meiner Freundin, aber die andere Frau nahm ihr die Widerrede übel. Sie spricht jetzt nicht mehr mit ihr.
-Aren't you worried?, fragten die Kollegen.
-No. I'm not worried. What can happen? The worst that can happen is that I'll lose my job. So what? I'll find another job.
Große Augen in der Runde. Natürlich will sie ihren Job nicht verlieren. Aber ihr war der Standpunkt wichtig, die HR-Frau ist wütend, sie ist weiterhin freundlich zu ihr, sagt good morning, how are you?
-I can disagree with people and still be nice to them. That's something I learned with age I guess.

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Träume, 16. Mai 2019
Von meiner Schwester geträumt, die im ersten Stock extrem wütend war, weil sie alleine das Mittagessen für uns alle zubereiten musste, oder zumindest das Gefühl hatte das tun zu müssen. Ich war im Untergeschoss mit meinem Bruder. Ich hörte sie da oben rumstampfen und motzen, sie müsse immer alles alleine machen, keiner kümmere sich, es kotze sie so dermaßen an.
Ich versteckte mich im Klo, als sie die Treppe runterkam, hatte die Hand auf meine Brust gelegt und flüsterte mir mantraartig zu: love and faith, love and faith.

Kaum jemand anderes bringt mich so aus der Ruhe, seit jeher glaube ich. In drei Tagen wird sie in Neuseeland landen. Wir werden hier am anderen Ende der Welt Schwesternzeit haben.

***

Von Geistern geträumt, die im Obergeschoss dieses alten Hauses lebten, es war ein Hotel wie das Hotel New Hampshire von John Irving. Ich wusste das schon länger mit den Geistern. Ich ging hoch, als ich das alte Klavier spielen höre. Einer der noch Lebenden, ich glaube ein Verwandter einer der Toten, saß am Klavier. Ein älterer, wohl gekleideter Herr, er spielte ernst vergnügt. Ich glaube er trug eine Fliege. Ich hing am hölzernen Türbalken, lugte um die Ecke, er sah auf und lächelte mich an. Dann stieß ich die Küchentür auf, wo die beiden Geister waren, eine Frau und noch jemand. Wir unterhielten uns über ihre Todesumstände und dass sie einmal im Jahr wiederkehrten um hier rumzugeistern. Sie erzählten, warum sie nicht in Frieden gehen konnten. Sie waren freundlich, ich mochte sie. Die Frau, sie war sehr alt, sie geisterte hier seit vielen Jahren, erzählte wie sie früher die Katze herumkuschte, kusch kusch und dann sagte sie einen Spruch und die Katze lernte wie man Türen öffnet, kusch kusch. Ich war in der modernen Wohnung, hundert Jahre später und sah eine Katze aus dem Wäschekorb lugen. Kusch kusch, sagte ich und dann den Spruch. Er klang polnisch. Etwas in der Katze erinnerte sich, ein Ahnengedächtnis, kusch kusch. Als wir uns später auf dem Balkon ausgeschlossen hatten, öffnete sie uns die Tür. Meine Freunde waren irritiert und ich lächelte.

Geister und Katzen. Jetzt hast du auch das erlebt, dachte ich.

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Sonntag, 12. Mai 2019
KW 19, Was schön war
Ich muss rückwärts denken, weil alles so viel ist.

Besitz.

Heute, Sonntag, bin ich bei meiner Meditationsfreundin eingezogen. Ich habe hier ein Zimmer mit einem eigenen Bett. Ich habe es erstmal fotografiert. Nach über einem Jahr auf dem Boden schlafen, im Zelt, in WGs und bei Freunden, ist das schon ein Ereignis. Es ist auch nicht zu weich, ich freue mich sehr.
Dabei habe ich auch mal wieder meinen Besitz fotografiert. Ich bin mit einem großen und einem kleinen Koffer nach Neuseeland gekommen, Januar 2018. Dazu gekommen ist inzwischen ein Pressspahn-Schreibtisch mit Stuhl (es gibt hier keinen IKEA, aber so ähnlich), ein Miniregal und zwei Kopfkissen ausm Warehouse, eine Box voll Papierkram und eine voll mit Campingkram sowie die ganzen Klamotten, die P mir geschenkt hat plus die selbst gekauften ausm Secondhand. In wenigen Monaten muss ich alles wieder hergeben bis auf den großen und den kleinen Koffer. Ich mag das irgendwie. Loslassen ist schwer für mich, aber ist es dann mal geschafft, fühle ich mich leicht und frei.
Wenn ich es recht überlege bin ich am glücklichsten, einzig mit dem großen roten Wanderrucksack. Alles, was ich brauche auf meinem Rücken zu tragen, das ist Glück für mich, ja. Und wie wertvoll jeder Gegenstand darin dann ist.

In der Mongolei lernte ich: Wer viel hat, muss auch viel tragen.

Heilen

Samstag, gestern, war ich wieder bei dem Heiler. Er rief an und meinte, es hätte jemand abgesagt, ob ich spontan vorbeikommen wollte. Ich, zufällig krank bis obenhin, sagte: oh, ehm... yes.
Kurz ging es dann auch um meine Erschöpfung und die Nebenhöhlen, den Druck und Schmerz in meinem ausgewölbten Gesicht. Die meiste Zeit verbrachte ich aber mit mich winden und krümmen und einmal setzte ich mich abrupt auf der Untersuchungsliege auf, so groß war die Erkenntnis. Ich sah wie kalt ich oft bin und dass es mir schwer fällt, geliebt zu werden, das zuzulassen.
Bei dieser Erkenntnis löste sich was, nicht nur Rotz hinter der Stirn, auch Enge in der Brust. Ganz weich und herzlich konnte ich zurück nach Hause fahren und the witch, von der ich davor so genervt war, den Rücken massieren. Später saß ich ihr sogar gegenüber, ziemlich nah und massierte ihre Schläfen. Sie hatte die Augen geschlossen, entspannte sich zunehmend, die Lippen öffneten sich leicht und ich sah wie schön sie war, wie verletzt auch und gebeutelt.

Kinder

Freitag, Donnerstag, Mittwoch und den halben Dienstag viel Zeit mit the witch und ihrer Familie verbracht, weil ich bei ihr wohnte in den letzten Wochen. Wir kennen uns ja erst seit kurzem. Sie ist in Armut in der Ukraine aufgewachsen und hat diese osteuropäische Gastfreundschaft, die ich von meiner Reise per Anhalter von Deutschland nach Georgien kenne. Nach dem dritten Treffen bot sie an, ich könnte immer bei ihr unterkommen, kostenlos, auch für länger, sie hätten Platz im Haus.
So habe ich zum ersten Mal mit kleinen Kindern zusammengelebt. Ich versuchte nett zu sein, etwas zurückzugeben. Einkaufen, kochen (wieviel eine vierköpfige Familie ISST!), spülen, babysitten. Ich war gereizt und übermüdet. Musste viel an meine alleinerziehende Freudin in Deutschland denken.

-You know what they say in buddishm?, sagte the witch einmal abends als der Dreijährige mich ungeduldig an der Hand zu sich runterzog. You should every day spend time with someone who is older than you and with someone who is younger than you.

Habe ich dann auch gemacht. Meine ältesten Freundinnen hier sind in ihren 60ern und wir verstehen uns gut.

Gehen

Die andere Hälfte des Dienstags und Montag war ich wandern mit KM. Wir haben das Tongariro Alpine Crossing gemacht. Montag war der erste offizielle Tag der Wintersaison, es war nicht viel los. Wir sind knapp 20km gelaufen, der höchste Punkt war etwas unter 2000m. Ich bin mit Fieber und Nebenhöhlen los, im Laufe des Tages spontan gesundet, es war alles so schön, und abends erschöpft wieder zusammengesunken. Wir hatten zuvor keine Fotos angeschaut und waren nach jeder Kurve beeindruckt. Die Vulkane, der rote Krater, die Seen.
Boah, sagte ich und KM lächelte, er findet das toll, das deutsche boah, er kannte das vorher nicht.
Wir sind uns näher gekommen, noch näher, beim Gehen. Gehen ist gut zum sich nahekommen.

-Du bist toll, kann KM jetzt auch auf Deutsch sagen. Mich macht das glücklich, dieses Interesse an meiner Sprache (finally, ich habe auch ein Jahr darauf hingearbeitet). Sein Wortschatz umfasst neben Misthaufen, von dem er kindlich begeistert ist, Scheißhaus und Biertisch, jetzt auch Du bist toll/süß/schön/wunderschön sowie Ich liebe dich (ikh liebe dikh).

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Dienstag, 12. Februar 2019
KW 6, Was schön war
Das Joggen mit P wieder, dieses Mal nur den Waldweg, nicht den Buggel hoch am Skaterplatz vorbei, denn wir wollen zum kleinen Strand, also unten am Golfplatz entlang, wo uns eine Gazelle überholt, ein Mädchen mit derart langen Beinen, die ihre Knie auch noch so nach oben zieht und überaus prallen Brüsten, P und ich werfen uns Blicke zu, und auch die beiden jungen Männer aus dem am Straßenrand parkenden LKW sehen ihr hinterher, amüsiert und bewundernd.

Am Strand ist niemand mehr, es ist schon wieder spät und windig, und ich wieder in Unterwäsche ins Wasser (im Bikini rennt es sich nicht gut) mit Gekreische, ohne kann ich nicht, und so schön, so schön, die hohen Wellen und ich bin wieder Kind.

Dann barfuß nach Hause auf der noch warmen Straße, das wird meine Erinnerung an diesen Sommer, ich fühle es mit jedem Schritt, die Leute, Touristen, lachen mich an. Zuhause ziehe ich mich schnell um und renne los zum Language Exchange Meeting, wo die nette Polin und die Familie aus Ägypten ist sowie die Italiener mit ihrem ausgeprägten Japanisch-Faible. (Gelernt: Es gibt fünf Höflichkeitsformen auf Japanisch - also wie "du" und "Sie"und noch drei andere, die Worte werden anscheinend immer länger, je höflicher man sein will oder muss, und verschiedene Arten - oder sagen wir Grade - der höflichen Verbeugung.)

Das war am Montag.

Dienstag bin ich bei meiner neuen Freundin the witch zuhause, es gibt selbstgemachte Körnerbratlingburger mit Kürbis und Süßkartoffel und ihr Dreijähriger kotzt während des Essens, die Sechsjährige und ich halten uns schnell die Augen zu, um nicht mit zu kotzen. Meine Freundin und ich unterhalten uns über den korrekten Sitz einer Menstruationstasse (oh, Erkenntnis), Geschlechtskrankheiten, das neuseeländische Schulsystem, die bürgerliche Mitte in der wir uns aus Versehen niedergelassen haben, die Attraktivität der witch (und das obwohl ihr Kopfhaar noch immer raspelkurz ist) und meine Ausstrahlung ("You seem to me like a child but not childish, you are... pure.")

Mittwoch sehr ungemütliche Meditation. Ich lerne die Tochter meiner Meditationsfreundin kennen und finde sie sehr bossy und streng, aber ja, sie ist auch eine indische Schönheit.

Donnerstag dinner mit KM in Takapuna beim guten Italiener, der die zweitbesten Ravioli macht, die ich je gegessen habe (die besten waren in Tübingen in diesem winzigen Restaurant am Berg).

Freitag paddelsurfen mit der Polin, ich nenne sie die Goldmarie, denn so sieht sie aus, lange dunkelblonde Locken und ein immerplappernder Mund. Die Goldmarie wohnt erst seit einem halben Jahr hier und hat sich schon mit dem halben Dorf angefreundet. Sie leiht mir ihr Paddelboard und ich kämpfe gegen die Wellen ("Honestly I would not recommend you even try to stand up") aber natürlich versuche ich es und falle und versuche es und falle usw.

Sie und ihr schöner Mann (wirklich, und er hat die perfekte Brille) laden mich noch auf Tee und die guten Bioorangen bei sich zuhause ein, das Haus hat geschliffene Dielen und weiße große Holztüren, $650/Woche Kaltmiete, es wird demnächst verkauft für eine Million, was angesichts der Lage noch günstig ist. Goldmaries kleine Tochter fällt zuhause hin und schlägt sich ein tiefes Loch in die Lippe, sie schreit wie am Spieß, blut spritzt, Goldmarie gibt ihr die Brust und sofort beruhigt sie sich. Zaubertrank.

Samstagmorgen bin ich mit P zum joggen und mit Jen zum kayaken verabredet, aber zum joggen sind wir zu faul und zum kayaken ist das Meer zu wild. P und ich beschließen, warum auch immer, stattdessen schwimmen zu gehen. Einmal die Bucht entlang bis zum Floß. Zwischendurch Panikmomente, meine Füße tasten nach unten, man kann überall stehen, gottseidank, aber die Wellen schlagen uns ins Gesicht und wir schlucken jede Menge Wasser. Meine Beine zittern als ich aus dem Meer krieche, vor Kälte und Überanstrengung. Auf dem Spielplatz hinten legen wir uns zum Ausruhen auf eine Doppelrutsche, P links, ich rechts, wir passen gerade so rein und die Sonne kommt raus und wärmt uns. Danach Baguette vom Französischen Café, das bisher immer geschlossen hatte, wenn ich da war (und jetzt geöffnet hat, wenn ich kein Geld dabei habe, aber P zahlt, auch noch ein Mandelcroissant später, reminder an mich: Geld zurückgeben).

Abends kommt meine Meditationsfreundin zum Baden vorbei, das habe ich ihr geschenkt, ein outdoor bath bei uns im Garten. Ich putze die Wanne, sie stellt Kerzen auf, bringt indische Musik und einen Wein mit, sie zieht sich aus, ich ziehe mich zurück. Nach einer Stunde klopft sie an meine Tür, sie ist fertig und strahlt und bedankt sich mehrmals ("Thank you so much. You are so kind to me."). Wir machen zusammen roasted vegies und essen sie auf der Terrasse im Mondlicht und immer wieder sagt sie, wie dankbar sie wäre, es wäre einer der schönsten Tage ihres Lebens gewesen, und dass sie mir in einem früheren Leben vielleicht mal einen Gefallen getan hätte, anders könne sie sich meine Freundlichkeit nicht erklären (ich staune - ich tue nicht mehr für sie, als ich für alle Freunde tue, es kommt mir nicht viel vor).

Sonntag: Holi Krishna Colourfestival mit meiner Meditationsfreundin. Es ist zu heiß und ich am Anfang etwas schüchtern ("You look way too white", sagt eine Frau am Eingang und klatscht mir lachend grünes Farbpulver aufs Shirt), aber nach einer Weile habe ich den Dreh raus und rufe Happy Holi und bewerfe die Neuankömmlinge und die bedanken sich und freuen sich und am Ende bin ich überall bunt und zwischen meinen Brüsten mischt sich das Pulver mit Schweiß und bleibt dort kleben auch nach einer langen Dusche.

[Nicht erwähnt: den Sonnenstich, die wiederkehrenden Albträume, Kindheitsängste, weiterhin Erschöpfungszustände, immerzu Hunger, Durst, ich trau mich nicht beim Arzt anzurufen.]

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Montag, 4. Februar 2019
Past. Tense.
Manchmal schaue ich mir Fotos auf Facebook an von meinen Grundschulfreunden, den ehemaligen Nachbarskindern, den Schülerinnen ein paar Klassen über oder unter mir, den Cousins, den Dorfbekannten, und denke: So hätte dein Leben auch aussehen können.

Hätte ich den Absprung nicht geschafft.

Vielleicht wäre ich glücklicher, das dachte ich schon manches mal, ich weinte sogar schon deswegen, auf der Rückfahrt zum Beispiel mit A im Auto, wir waren gerade auf halber Strecke vom Dorf, aus dem ich geflohen war, in die Unistadt.
Die wissen, wo sie hingehören, die haben ihren sicheren Platz, der Weg ist vorgezeichnet, alles klar, Heirat, Kinder, Eigenheim, einen überdachten Garagenstellplatz und den Job die nächsten 40 Jahre.

Ich hatte: 16 Semester auf dem Buckel (oder warens da schon 20?), einen 10 Jahre alten Laptop als (materiell) wertvollsten Gegenstand (und dementsprechend Geldsorgen), das dauerhafte Gefühl nirgends zuhause zu sein, nirgends sicher, nirgends geborgen, die Sprache des Dorfes hatte ich verlernt, die universitären Codes blieben mir noch immer ein Rätsel (dabei lehrte ich da vielleicht schon selbst), ich hielt Ehe für spießig und Kinder für Stress, wollte - und lebte - Freiheit, Reisen, sehr viel Lieben und Bildung über alles. Bloß: die Ungewissheit, die nagende, und all die proletarischen Sorgen.

A reagierte übrigens recht schroff, das weiß ich noch. Ich weinte bitterlich bis zur Schwäbischen Alb, dann gings wieder.

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KW 5, was schön war
Montag bei KM, endlich machen wir den 1,5h walk durch den native forest unten am Berg. Später lunch beim Japaner, 2x 6 veggie dumplings und 2x miso soup (Neuentdeckung, sehr salzig, auch gut) für mich, danach immer noch Hunger. Im Wald bestaune ich die neuen, noch aufgerollten, borstighaarigen Farne und mache Fotos.

Dienstag nach der Bibliothek mit Anni zum Strand, dazwischen Stop beim Kiosk für Eis und Chips und längeres Gespräch aufm Bänkle beim Rugby-Feld über das Leben in Neuseeland.

Mittwoch Bibliothek bis nachmittags, danach will ich den Bus zum Strand nehmen, er kommt aber nicht. Wir sind zu fünft an der Haltestelle, ich gebe als dritte auf und laufe zur nächsten Haltebucht um zu trampen. Es hält an: Ian aus England, der bei der Navy arbeitet und mich fragt, ob wir mal nen Kaffee trinken wollen. Am Strand rutsche ich dreimal mit meinem Handtuch vom Baumschatten wieder in die Sonne, dann laufe ich rüber zu meiner Meditationsfreundin, dankbar bis obenhin, dass ich hier lebe.

Donnerstag: In der Bib treffe ich zufällig die Nonne, die nur noch ein paar Tage in der Stadt ist bevor sie zurück ins Kloster geht. Später Mittagspause mit A am Hafen, Gespräche über Pupsen und faire Benotung an Schulen. Noch später joggen mit P und danach direkt in Unterwäsche ins Meer, es ist herrlich, es ist der schönste Moment der Woche, ich kreische beim Reinrennen, es ist saukalt, obwohl wir gut aufgewärmt sind, drinnen lege ich den Kopf in den Nacken und mich auf den Rücken, sodass der Hinterkopf nass wird, weil Han mir sagte, da sei ein Temperaturregulationspunkt und das wäre besser für den ganzen Körper, ich bilde mir ein, es bringt was, dann schwimmen P und ich herum und lassen uns treiben. Außer uns ist niemand mehr im Meer. Danach dusche ich mich draußen ab, ziehe die nassen Sachen aus und laufe barfuß auf der noch warmen Straße nach Hause.
Wo ich schnell Pommes in den Ofen schiebe und dann kommt auch schon KeriKeri, um mich auf einen Nachtspaziergang abzuholen. Sie lehnt ihr Elektrorad am Baum an und lacht und sagt, sie fühlt sich wie damals als Teenie beim Date-Abholen (KeriKeri ist 62) und ich lache auch und dann spazieren wir einträchtig durchs Viertel, ich mit der Tupper mit den Pommes in der Hand, und erzählen von Töchtern (sie) und Müttern (ich) und Beziehungen, Ängsten, Loslassen und dass auch alles gut werden kann.

Freitag: KM holt mich ab zum Ausflug in den Shakespear Park, der gar nichts mit Shakespeare zu tun hat, wie ich erst jetzt erfahre. Der Strand sieht aus wie Wenderholm, der Berg sieht aus wie Motutapu Island und es gibt keine Killerkühe, wofür ich sehr dankbar bin, ich bin noch traumatisiert, aber viele Schafe, die davonlaufen und das derart ungeschickt, dass sich unsere Wege dreimal kreuzen. Ich mache ein Selfie mit uns und zwei Schafen, eins guckt direkt in die Kamera. Dinner dieses Mal bei dem anderen Thai, das Besteck ist golden, Essen gut, wir teilen uns sogar ein Eisdessert, das mache ich sonst nie.

Samstag: Brunch mit der Nonne im Dorfcafé, sie lädt mich ein um das Loslassen und Teilen zu üben. Es gibt zum ersten Mal ein vegetarisches Tagesessen und ich esse zum ersten Mal diesen Riesenpilz. Danach Bibliothek, dann gehe ich heim und schaue beim Nachmittagessen (takeaway vom Chinesen, nicht gut, muss ich mir jetzt mal merken) zwei Folgen How I met your mother, um das Gehirn runterzufahren und raffe mich auf wieder rauszugehen, wo wir uns am Supermarkt treffen, zusammen zu ihrem Airbnb-Zuhause laufen (das ich mir bei der Gelegenheit gleich anschauen kann, das wäre evtl. was für Mama und Papa, wenn sie zu Besuch kommen). Wir haben dinner draußen auf der Terrasse im Sonnenuntergang, Cracker, Körnerbrot, Hummus, Avocado, Tomaten, Trauben. Zum Abschied schenkt sie mir ihren Fön und Ohrstecker (Loslassen, Teilen).

Sonntag: P holt mich ab zu unserem Geburtstagsdate. Sie lädt mich ein auf Mittagessen und Theater, ich warte draußen auf dem Bürgersteig sitzend auf sie, bin überpünktlich und aufgekratzt. P ebenfalls, im Auto Gespräche über Lebensmittelvergiftungen, den Muttermund (der sich im Verlauf des Zyklus weich anfühlt wie ein Ohrläppchen wie ich seit einem Toskanaurlaub vor 10 Jahren mit J und T weiß) und Geburtsschmerz (meine Freundin B hat jetzt ihr Baby bekommen, es heißt Kea, wie der Vogel).
Wir essen malaysisch, Nudel-Gemüse-Tofu-Suppe mit Kokos für mich, zum Reinlegen gut, bloß meine Zunge brennt noch den ganzen Abend. Dazu Fladenbrot, das schmeckt wie Croissant und frittierte (?) Tofustückchen mit Gurke und Nuss. Bester Tofu, den ich je hatte.
Das Pop Up Globe Theater ist großartig. Wir schauen The Taming of The Shrew, mein erstes Shakespeare Stück, glaube ich. Lustig, modern, ziemlich versext auch. Das letzte mal im open air Theater war ich glaube ich mit 11 in Pippi Langstrumpf o.ä. Später, wieder Zuhause, gehe ich zum ersten Mal zum "secret beach" die Straße runter, der gar nicht mehr so secret ist, es steht da jetzt sogar ein Schild mit der Aufschrift "secret beach", ich muss lachen. Strand ist aber gar keiner da, nur der Steg, es ist high tide.

8 von 10 Punkten für diese Woche. Abzug gibt es für die Hungerattacken, den Dauerdurst, die Erschöpfungszustände, die verstopften Nebenhöhlen, den trockenen Mund, die trockenen Augen, das ständige Aufsklomüssen, das Aufwachen nachts, die Frage, ob es vielleicht auch etwas ernstes sein könnte.

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Dienstag, 29. Januar 2019
diary, 29. Jan 2019
Ein guter Tag. Morgens putze ich das Bad, dann ein bisschen Trödelei, Bibliothek sehr konzentriert von 13 bis 15:30 Uhr, Feierabend: Treffen mit Anni, Treffpunkt Kiosk mit den gigantischen Eis-Werbeplakaten. Der Wetterbericht sagt um 16 Uhr sollen es 28 Grad werden, da kann man schon mal zum Eisessen gehen und später zum Strand.

Auf dem Weg spricht mich ein etwas verlotterter Typ auf einer Parkbank an und sagt, sein Großgroßvater hätte als einer der ersten hier auf der Halbinsel gelebt, damals habe es noch keine Bäume, Häuser und nichts gegeben, nur den Hafen, er war Seemann, und habe ein Haus gekauft, direkt da hinten, für 350 Pfund. Heute sei es mehrere Millionen wert. Sie hätten auch als erste ein Auto gehabt, während die Polizei noch Fahrrad fuhr. Ich halte ja nichts von Millionären und Autos und verabschiede mich nach einer kurzen Diskussion über Atomenergie und Tierversuche wieder.

Am Kiosk kauft Anni sich eine Kugel Eis für $3 ($2,50 die Kugel und nochmal $0,50 für die Waffel). Ich kaufe Chips für stolze $4 aber ohne Zusatzstoffe. Dann setzen wir uns auf ein Bänkchen beim Rugbyfeld in den Schatten und erzählen von den letzten Wochen und der Zukunft.

Wir sind jetzt beide seit einem Jahr hier, ich seit einem Jahr und drei Tagen. Wir denken nach darüber wie alles gekommen ist und wie alles weitergehen wird und dass Zeit einfach so vergeht ohne dass man irgendetwas dafür tut, das finden wir heute beide erstaunlich.

Anni wird noch 2 Monate reisen und dann Anfang April zurück nach Deutschland fliegen, wo sie das Referendariat beginnt. Sie will zurück, um zu schauen, wie sich das anfühlt, um heraus zu finden, ob das richtig ist und wo sie leben will. Aus demselben Grund werde ich wohl auch zurückkehren, aber das dauert noch etwas.

-Weißt du was?, sage ich zu Anni, du bist meine Neuseelandfreundin.

Das hätte ich vor einem Jahr auch nicht gedacht, dass ich mal eine Neuseelandfreundin haben würde. In 10 Jahren werde ich mich zurückerinnern an Anni und unsere Zeit hier, so wie ich heute zurückdenke an meine Barcelona-Freunde, die ich ja auch erst vor kurzem vor 10 Jahren kennenlernte.

Anni ist meine einzige Freundin aus Deutschland und obwohl wir ansonsten sehr verschieden sind, fühle ich mich ihr dadurch nah. Es ist schön, jemanden zu haben, mit dem man eine Lebenswelt teilt.

Anni gibt mir Reisetipps, sie war in der letzten Zeit viel unterwegs. Cape Brett in Northland soll toll sein und auf der Südinsel die Aspiring Hut. Später gehen wir zusammen zum Supermarkt und ich kaufe Backofenpommes zum ersten Mal seit ich weiß nicht wann und dazu die gute Mayonaise in der seltsamen Wabbelflasche ohne Ettikett.

Zuhause gibt es eine Folge How I met your mother, ich weiß ja immer noch nicht wer die Mutter ist, und es ist mein Englischlern-Programm, das sage ich zumindest Em, die die Serie kritisch beäugt. Ich bin bei Staffel 5 und werde nur noch wenige Wochen hier wohnen mit Internet und Netflix Account und allem, also halte ich mich ran, alle paar Tage eine Folge.

Em's Freundin Han ist zu Besuch und gibt mir auch noch Reisetipps, Tututaka coast, alleine wegen des Namens sollte man hin, ist ja fast wie Takakukaland. Em schlägt Doubtless Bay vor, ha, zweifellos, und Waipu und Maitai Bay, wo es das klarste Wasser geben soll.

Jetzt ist kurz vor 23 Uhr, es war ein guter Tag, bald Bett, bzw. ein Bett habe ich ja nicht, bald Minimatratze. Schläft sich aber besser darauf als gedacht und so kann sich mein Rücken schon mal wieder an Unterwegs gewöhnen.

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