Dienstag, 12. Februar 2019
KW 6, Was schön war
Das Joggen mit P wieder, dieses Mal nur den Waldweg, nicht den Buggel hoch am Skaterplatz vorbei, denn wir wollen zum kleinen Strand, also unten am Golfplatz entlang, wo uns eine Gazelle überholt, ein Mädchen mit derart langen Beinen, die ihre Knie auch noch so nach oben zieht und überaus prallen Brüsten, P und ich werfen uns Blicke zu, und auch die beiden jungen Männer aus dem am Straßenrand parkenden LKW sehen ihr hinterher, amüsiert und bewundernd.

Am Strand ist niemand mehr, es ist schon wieder spät und windig, und ich wieder in Unterwäsche ins Wasser (im Bikini rennt es sich nicht gut) mit Gekreische, ohne kann ich nicht, und so schön, so schön, die hohen Wellen und ich bin wieder Kind.

Dann barfuß nach Hause auf der noch warmen Straße, das wird meine Erinnerung an diesen Sommer, ich fühle es mit jedem Schritt, die Leute, Touristen, lachen mich an. Zuhause ziehe ich mich schnell um und renne los zum Language Exchange Meeting, wo die nette Polin und die Familie aus Ägypten ist sowie die Italiener mit ihrem ausgeprägten Japanisch-Faible. (Gelernt: Es gibt fünf Höflichkeitsformen auf Japanisch - also wie "du" und "Sie"und noch drei andere, die Worte werden anscheinend immer länger, je höflicher man sein will oder muss, und verschiedene Arten - oder sagen wir Grade - der höflichen Verbeugung.)

Das war am Montag.

Dienstag bin ich bei meiner neuen Freundin the witch zuhause, es gibt selbstgemachte Körnerbratlingburger mit Kürbis und Süßkartoffel und ihr Dreijähriger kotzt während des Essens, die Sechsjährige und ich halten uns schnell die Augen zu, um nicht mit zu kotzen. Meine Freundin und ich unterhalten uns über den korrekten Sitz einer Menstruationstasse (oh, Erkenntnis), Geschlechtskrankheiten, das neuseeländische Schulsystem, die bürgerliche Mitte in der wir uns aus Versehen niedergelassen haben, die Attraktivität der witch (und das obwohl ihr Kopfhaar noch immer raspelkurz ist) und meine Ausstrahlung ("You seem to me like a child but not childish, you are... pure.")

Mittwoch sehr ungemütliche Meditation. Ich lerne die Tochter meiner Meditationsfreundin kennen und finde sie sehr bossy und streng, aber ja, sie ist auch eine indische Schönheit.

Donnerstag dinner mit KM in Takapuna beim guten Italiener, der die zweitbesten Ravioli macht, die ich je gegessen habe (die besten waren in Tübingen in diesem winzigen Restaurant am Berg).

Freitag paddelsurfen mit der Polin, ich nenne sie die Goldmarie, denn so sieht sie aus, lange dunkelblonde Locken und ein immerplappernder Mund. Die Goldmarie wohnt erst seit einem halben Jahr hier und hat sich schon mit dem halben Dorf angefreundet. Sie leiht mir ihr Paddelboard und ich kämpfe gegen die Wellen ("Honestly I would not recommend you even try to stand up") aber natürlich versuche ich es und falle und versuche es und falle usw.

Sie und ihr schöner Mann (wirklich, und er hat die perfekte Brille) laden mich noch auf Tee und die guten Bioorangen bei sich zuhause ein, das Haus hat geschliffene Dielen und weiße große Holztüren, $650/Woche Kaltmiete, es wird demnächst verkauft für eine Million, was angesichts der Lage noch günstig ist. Goldmaries kleine Tochter fällt zuhause hin und schlägt sich ein tiefes Loch in die Lippe, sie schreit wie am Spieß, blut spritzt, Goldmarie gibt ihr die Brust und sofort beruhigt sie sich. Zaubertrank.

Samstagmorgen bin ich mit P zum joggen und mit Jen zum kayaken verabredet, aber zum joggen sind wir zu faul und zum kayaken ist das Meer zu wild. P und ich beschließen, warum auch immer, stattdessen schwimmen zu gehen. Einmal die Bucht entlang bis zum Floß. Zwischendurch Panikmomente, meine Füße tasten nach unten, man kann überall stehen, gottseidank, aber die Wellen schlagen uns ins Gesicht und wir schlucken jede Menge Wasser. Meine Beine zittern als ich aus dem Meer krieche, vor Kälte und Überanstrengung. Auf dem Spielplatz hinten legen wir uns zum Ausruhen auf eine Doppelrutsche, P links, ich rechts, wir passen gerade so rein und die Sonne kommt raus und wärmt uns. Danach Baguette vom Französischen Café, das bisher immer geschlossen hatte, wenn ich da war (und jetzt geöffnet hat, wenn ich kein Geld dabei habe, aber P zahlt, auch noch ein Mandelcroissant später, reminder an mich: Geld zurückgeben).

Abends kommt meine Meditationsfreundin zum Baden vorbei, das habe ich ihr geschenkt, ein outdoor bath bei uns im Garten. Ich putze die Wanne, sie stellt Kerzen auf, bringt indische Musik und einen Wein mit, sie zieht sich aus, ich ziehe mich zurück. Nach einer Stunde klopft sie an meine Tür, sie ist fertig und strahlt und bedankt sich mehrmals ("Thank you so much. You are so kind to me."). Wir machen zusammen roasted vegies und essen sie auf der Terrasse im Mondlicht und immer wieder sagt sie, wie dankbar sie wäre, es wäre einer der schönsten Tage ihres Lebens gewesen, und dass sie mir in einem früheren Leben vielleicht mal einen Gefallen getan hätte, anders könne sie sich meine Freundlichkeit nicht erklären (ich staune - ich tue nicht mehr für sie, als ich für alle Freunde tue, es kommt mir nicht viel vor).

Sonntag: Holi Krishna Colourfestival mit meiner Meditationsfreundin. Es ist zu heiß und ich am Anfang etwas schüchtern ("You look way too white", sagt eine Frau am Eingang und klatscht mir lachend grünes Farbpulver aufs Shirt), aber nach einer Weile habe ich den Dreh raus und rufe Happy Holi und bewerfe die Neuankömmlinge und die bedanken sich und freuen sich und am Ende bin ich überall bunt und zwischen meinen Brüsten mischt sich das Pulver mit Schweiß und bleibt dort kleben auch nach einer langen Dusche.

[Nicht erwähnt: den Sonnenstich, die wiederkehrenden Albträume, Kindheitsängste, weiterhin Erschöpfungszustände, immerzu Hunger, Durst, ich trau mich nicht beim Arzt anzurufen.]