Sonntag, 12. Mai 2019
KW 19, Was schön war
Ich muss rückwärts denken, weil alles so viel ist.

Besitz.

Heute, Sonntag, bin ich bei meiner Meditationsfreundin eingezogen. Ich habe hier ein Zimmer mit einem eigenen Bett. Ich habe es erstmal fotografiert. Nach über einem Jahr auf dem Boden schlafen, im Zelt, in WGs und bei Freunden, ist das schon ein Ereignis. Es ist auch nicht zu weich, ich freue mich sehr.
Dabei habe ich auch mal wieder meinen Besitz fotografiert. Ich bin mit einem großen und einem kleinen Koffer nach Neuseeland gekommen, Januar 2018. Dazu gekommen ist inzwischen ein Pressspahn-Schreibtisch mit Stuhl (es gibt hier keinen IKEA, aber so ähnlich), ein Miniregal und zwei Kopfkissen ausm Warehouse, eine Box voll Papierkram und eine voll mit Campingkram sowie die ganzen Klamotten, die P mir geschenkt hat plus die selbst gekauften ausm Secondhand. In wenigen Monaten muss ich alles wieder hergeben bis auf den großen und den kleinen Koffer. Ich mag das irgendwie. Loslassen ist schwer für mich, aber ist es dann mal geschafft, fühle ich mich leicht und frei.
Wenn ich es recht überlege bin ich am glücklichsten, einzig mit dem großen roten Wanderrucksack. Alles, was ich brauche auf meinem Rücken zu tragen, das ist Glück für mich, ja. Und wie wertvoll jeder Gegenstand darin dann ist.

In der Mongolei lernte ich: Wer viel hat, muss auch viel tragen.

Heilen

Samstag, gestern, war ich wieder bei dem Heiler. Er rief an und meinte, es hätte jemand abgesagt, ob ich spontan vorbeikommen wollte. Ich, zufällig krank bis obenhin, sagte: oh, ehm... yes.
Kurz ging es dann auch um meine Erschöpfung und die Nebenhöhlen, den Druck und Schmerz in meinem ausgewölbten Gesicht. Die meiste Zeit verbrachte ich aber mit mich winden und krümmen und einmal setzte ich mich abrupt auf der Untersuchungsliege auf, so groß war die Erkenntnis. Ich sah wie kalt ich oft bin und dass es mir schwer fällt, geliebt zu werden, das zuzulassen.
Bei dieser Erkenntnis löste sich was, nicht nur Rotz hinter der Stirn, auch Enge in der Brust. Ganz weich und herzlich konnte ich zurück nach Hause fahren und the witch, von der ich davor so genervt war, den Rücken massieren. Später saß ich ihr sogar gegenüber, ziemlich nah und massierte ihre Schläfen. Sie hatte die Augen geschlossen, entspannte sich zunehmend, die Lippen öffneten sich leicht und ich sah wie schön sie war, wie verletzt auch und gebeutelt.

Kinder

Freitag, Donnerstag, Mittwoch und den halben Dienstag viel Zeit mit the witch und ihrer Familie verbracht, weil ich bei ihr wohnte in den letzten Wochen. Wir kennen uns ja erst seit kurzem. Sie ist in Armut in der Ukraine aufgewachsen und hat diese osteuropäische Gastfreundschaft, die ich von meiner Reise per Anhalter von Deutschland nach Georgien kenne. Nach dem dritten Treffen bot sie an, ich könnte immer bei ihr unterkommen, kostenlos, auch für länger, sie hätten Platz im Haus.
So habe ich zum ersten Mal mit kleinen Kindern zusammengelebt. Ich versuchte nett zu sein, etwas zurückzugeben. Einkaufen, kochen (wieviel eine vierköpfige Familie ISST!), spülen, babysitten. Ich war gereizt und übermüdet. Musste viel an meine alleinerziehende Freudin in Deutschland denken.

-You know what they say in buddishm?, sagte the witch einmal abends als der Dreijährige mich ungeduldig an der Hand zu sich runterzog. You should every day spend time with someone who is older than you and with someone who is younger than you.

Habe ich dann auch gemacht. Meine ältesten Freundinnen hier sind in ihren 60ern und wir verstehen uns gut.

Gehen

Die andere Hälfte des Dienstags und Montag war ich wandern mit KM. Wir haben das Tongariro Alpine Crossing gemacht. Montag war der erste offizielle Tag der Wintersaison, es war nicht viel los. Wir sind knapp 20km gelaufen, der höchste Punkt war etwas unter 2000m. Ich bin mit Fieber und Nebenhöhlen los, im Laufe des Tages spontan gesundet, es war alles so schön, und abends erschöpft wieder zusammengesunken. Wir hatten zuvor keine Fotos angeschaut und waren nach jeder Kurve beeindruckt. Die Vulkane, der rote Krater, die Seen.
Boah, sagte ich und KM lächelte, er findet das toll, das deutsche boah, er kannte das vorher nicht.
Wir sind uns näher gekommen, noch näher, beim Gehen. Gehen ist gut zum sich nahekommen.

-Du bist toll, kann KM jetzt auch auf Deutsch sagen. Mich macht das glücklich, dieses Interesse an meiner Sprache (finally, ich habe auch ein Jahr darauf hingearbeitet). Sein Wortschatz umfasst neben Misthaufen, von dem er kindlich begeistert ist, Scheißhaus und Biertisch, jetzt auch Du bist toll/süß/schön/wunderschön sowie Ich liebe dich (ikh liebe dikh).