Donnerstag, 5. Mai 2022
Tagebuch, 4. Mai
Ich muss erstmal wieder rausfinden, wie der Bloglink lautet und dann, wie ich einen Eintrag schreiben kann. Lange nicht hier gewesen. Alle alten Einträge gelesen. Hierher gekommen, weil mich ein Text bewegt hat. Er steht im newyorker und lautet ghosts at the liquor store.

Ich möchte keine links setzen, weil es sich nicht passend anfühlt verlinkt zu sein, verbunden mit der Welt. Der Text und Musik - es läuft I heart Sharks - berühren etwas in mir, eine Erinnerung ans Leben. Ans Schreiben auch. Früher habe ich geschrieben an Tagen wie heute.

Lang geschlafen und trotzdem zu kurz. Um 12 Uhr war Mittelbautreffen, um 14 Uhr Institutsversammlung. Vor zwei Jahren fühlte ich mich dort bloß gestellt und seither bin ich nervös bei jedem dieser Treffen, besonders, wenn ich etwas präsentieren muss oder will, so wie heute.
Es lief alles gut, sogar positive Rückmeldungen und anschließender E-Mail-Austausch mit einer neuen Kollegin. Danach dann aber nicht: Mittagessen nachgeholt, draußen gewesen, spazieren, oder aufgeräumt, Haushalt, Ablage, sondern im Internet versumpft. Youtube vor allem und dann auch noch Facebook.

Dort war ich auch lange nicht. Auf der Startseite hauptsächlich posts von meinen Freunden in Neuseeland. Ich klicke sie durch, lese nach, gehe dann auch auf die Seite von KM, um zu schauen, ob es inzwischen ein Update gibt, vielleicht ein Foto von seiner neuen Freundin. Es sind aber immer noch die alten Bilder von vor zwei Jahren.
Dann lande ich auch bei St, natürlich.

Später sitze ich in der Küche, weiterhin unfähig zu essen, obwohl ich sogar mit dem Kochen anfange, Nudeln koche, eine Zweibel schneide. Ich telefoniere kurz mit M, wir geben es dann aber wieder auf. (Ich weiß grad nicht, ob wir uns gut tun, ich bin down, keine Energie für gute Stimmung, du? - Nee, leider auch nicht und ich will gleich noch raus. - Also dann, bis nachher vielleicht nochmal? - Ja. Bis dann. Alles Gute dir.)

Dann lese ich auf dem Handy in den alten Lieblingsblogs, vor allem bei hotelmama.it, wo der Text im newyorker verlinkt ist.

Jetzt ist schon nach 23 Uhr. Immer noch nicht Mittag gegessen, die geschnittene Zwiebel auf dem Brettchen riecht scharf.

Es ist seltsam hier in meinem alten Leben nachzulesen. Ich wundere mich, dass das in Neuseeland auch mein Leben war, dass das dazu gehört, und das in Spanien, überhaupt all die Reisen, mal hier und dort erwähnt.
Damals noch ohne Scham umhergeflogen, viel getrampt, das auch, und mehrere Flüge im Jahr.

Diese Woche hat E. geschrieben, ob wir bald wieder telefonieren. Sie lebt immer noch in Spanien, wo ich manchmal katzensitten war, aber in einer anderen Wohnung, die ich noch nicht kenne, und ohne Rob. Ich war nicht da seit er gestorben ist. Und auch nur zwei, dreimal telefoniert in den letzten Jahren.

Letzte Woche hatte ich darüber nachgedacht, nach Spanien zu fliegen. Es war immer mein Zufluchtsort, wenn ich mit mir allein sein wollte, aber im Guten. Innehalten, mich auseinandersetzen mit mir (naja, und auch das ein oder andere Abenteuer durch Begegnungen, wie mit dem Wolf am Hafen oder, ganz früher, auf Partys in Barcelona).

Es fühlt sich nicht richtig an. Nicht nur wegen Klima und Krieg und es mir vermessen vorkommt, alles auszublenden und in gute Orte der Vergangenheit zu reisen. Auch weil es nicht mehr zu mir passt, vielleicht.

Ich wäre gerne mit mir in Kontakt und noch lieber würde ich herausfinden, was wirklich - wirklich - mein Ding ist. Was mich erfüllt. Was mich sprachlos macht, weil ich ganz, ganz im Jetzt bin. Verbunden mit mir UND der Welt.

Mir fällt als erstes ein, wie ich damals in der kleinen Bucht, wo auch der Wolf auf seinem Hausboot wohnt, zum ersten Mal auf dem Surfbrett stand. Ganz unverhofft, einfach aufgestanden und die Welle gesurft, das Brett war von einem der Surfer dort, den ich gefragt hatte, ob ich es auch mal ausprobieren darf. Es war ein warmer Abend, vielleicht im Juli, die Sonne war schon untergegangen, am Strand war niemand mehr, nur noch die Surfer im Wasser. Ich weiß es noch genau, ich kniete zuerst und stellte dann die Füße auf, drückte mich in den Stand und es war ganz leicht, als hätte ich nie was anderes gemacht, es war genau im richtigen Moment und die Kraft der Welle unter mir, die mich nach vorne schob, in meinem Kopf gar nichts außer ein gehauchtes wow und dann schrie ich es hinaus.

Auch die anderen Momente, die mir einfallen, haben mit Wasser zu tun. Es wäre gut am Meer zu sein. Ich habe noch 40 Urlaubstage. Wenn nicht fliegen und nicht Ausland, es ist ja auch Corona, zumindest noch in meiner Welt, zwei Wochen Nordsee vielleicht? Eine kleine Ferienwohnung, Anreise per Bahn, das ginge doch. Wie immer fürchte ich die Einsamkeit. Als wäre ich hier weniger allein als dort.

Im Seminar am Wochenende hat sich wie erhofft etwas geöffnet. Der Trainer arbeitet wie damals der Heiler in Neuseeland. Die Brust ist weiter, die Haltung offen, mein Stand stabiler, bis Montagabend. Gestern und heute wieder in mich zusammengesackt. Die alten Muster und Routinen sind stark. Zwei Wochen am Meer, ja, vielleicht.